„Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in sich, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd verborgen bleiben können. „
Franz Kafka
Seit der Zeit, als ich mit 19 Jahren meinen Vater, in einem rasanten, schnellen Verlauf, an der Krankheit ALS, verlor, bei welchem ich nur noch zuschauen konnte, wie sein so stabil scheinender Körper einfach zerfiel, frage ich mich, ob es etwas gibt, was unzerstörbar ist, auch wenn alles zerstört zu sein scheint. Wenn man von Schmerzen, äußeren wie inneren, erschüttert ist, durchgerüttelt wurde, gibt es Hoffnung? Woraus zieht man die Kraft, zum Weiterleben? Gibt es das Unzerstörbare, den Kern in einem selbst?
Da ich dies als eine sehr persönliche Frage, vielleicht gar eine spirituelle Frage empfinde habe ich begonnen auf eine eigene bildnerische Forschungsreise zu gehen, subjektiv habe ich meine eigene Sichtweise begonnen zu untersuchen. Auch habe ich anhand von Bildern die mir begegnet sind, die mich berührt haben, versucht diese Tiefe zu ergründen.
Des Weiteren habe ich einige Menschen zu diesem Thema interviewt, ein paar Worte und Eindrücke hierzu möchte ich auch gerne teilen.

SELBSTPORTRAIT
Der nackte Torso einer jungen Frau ist sichtbar, die Haare sind blau weißlich, dadurch wirkt sie älter als sie ist. Sie blickt den Betrachter direkt an. In ihrer linken Brust steckt eine große Glasscherbe. Die Einstichwunde ist rot und tief. Die Scherbe hinterlässt Risse, die sich bis zur Schulter ziehen. Auf der Glasscherbe, die den unerbittlichen Schmerz bebildert, sitzt zart ein Flügelwesen, ein weiß bläulicher Schmetterling, in ähnlichen Tönen, wie die Haare der Frau. Er ist sehr fragil, kaum zu erkennen. Erzählt er von Hoffnung?!
„Ich hatte lange das narrativ, dass ich mich gebrochen fühle „broken“ und dass ich geheilt werden muss.
Jetzt konnte ich das umgedrehen zu „i am breaking free“. Also ich spüre ich habe diesen unzerstörbaren schönen Kern in mir und da wurden Scherben drauf geworfen und diese Scherben kann man aber wegkehren und ich muss nicht versuchen irgendwas zusammen bauen, weil das was da drunter ist, ist da, wie so ein Atomkern ist was dageblieben, was immer da war und das muss nur seinen Weg nach außen finden.“
(Melli, 27 Jahre, 2021)

SCHWESTERN
Die große Schwester hat die kleine Schwester auf dem Schoß. Man weiß nicht, sitzen sie innerhalb eines Raumes mit vergitterten Fenstern oder außerhalb. Hinter den Gittern brennt es, im Herzen der großen Schwester rufen zwei kleine frisch geborene Vögel nach Nahrung. Was ist mit ihnen? Sie scheinen etwas erlebt zu haben, um das nur sie beide wissen und damit allein zu sein. Mit großen Augen blicken sie dem Betrachter entgegen. Dadurch, dass sie zusammen sind, scheinen sie sich dennoch Stütze zu sein. Als würden sie sich im gemeinsam Erlebten Kraft geben. Sie sind nicht allein, sie sind zwei.

UNTER WASSER
Ich bin unter Wasser die linke Seite ist zugefroren. Oben auf dem Eis läuft das kleine Mädchen geführt an der Hand ihres Vaters dem Sonnenuntergang entgegen. Das Eis ist rissig und tief in ihm schlummert der Mond. Aus dem Mond wächst ein Baum, der sich Rissartig durch das Eis in den Himmel stellt. Der Baum wurzelt im Herzen, was auf dem Körper zu liegen scheint und ein rotes Pendant zur untergehenden Sonne bildet. Rechts ist das Wasser heller, das Meer ist sichtbar. Ein Frauengesicht kämpft mit dem Wasser, kämpft als würde es mit dem Wasser verschmelzen, gar ertrinken? Oben rechts springt eine Frau ins Wasser, und ein Vogel sitzt mir auf der Schulter, auch er nagt an den Wurzeln hinterlässt mit seinem spitzen Schnabel eine kleine Wunde in der Haut.
Das Bild malte ich im Empfinden über die Beziehung zu meinem Vater, über das Gefühl, das sein Verlust in mir hinterließ. Das Ringen im Eis erfroren zu sein und stattdessen gleichzeitig durchzubrechen und in das Wasser zu springen. Hoffnung suchen.
„Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.” ( Franz Kafka)

DIE UNANTASTBARE
Bei meiner Recherche stieß ich auf den Film des Regisseurs Siassko „Timbuktu“. In ihm wird eine Frau gezeigt, die durch die Straßen der Stadt läuft mit wehendem Kleid, einen Hahn unter dem Arm. Trotz der kopflosen Gewalt der Dschihadisten, die Timbuktu bedroht, wird sie wird nicht angegriffen, auch wenn sie sich den Invasoren in den Weg stellt. Sie wirkt wie ein Symbol für eine unzerstörbare Verbindung zu etwas Anderem, außerhalb der irdischen, oder besser
gesagt, außerhalb der rationalen Welt.
Sie lacht die Invasoren aus, als ob sie die Sinnlosigkeit ihres Handelns zutiefst erkennt und im Großen den Wahnsinn begreift, vielleicht als würde sie wissen, dass es etwas gibt, was sie niemals zerstören können? Auf ihrem Arm hält sie den Hahn, Symbol für lautes krähen und gackern ihr zugehöriges Tier, welches doch auch verletzt ist, an ihrer rechten Hand sieht man das Blut. Bedroht wird sie von den Waffen und ist doch geschützt von scheinbar nicht sichtbaren Tieren auf ihren Schultern. Ein Chamäleon, der Verwandlungskünstler und ein Vogel als Symbol für Flügel und Freiheit möchte diese größere Dimension ausdrücken.
Ich sehe in ihre die die Sehnsucht nach einer magischen, unzerstörbaren Kraft, welche vielleicht dazu beiträgt, diesen realistische Bilder des Schreckens zu ertragen und ihnen gleichzeitig etwas entgegen zu setzen.

„DAS MÄDCHEN UND DER FUCHS
Ein Mädchen im Alter von ca. 5 Jahren ist zu sehen, sie weint bitterlich. Ihre Hände scheinen viel zu groß zu sein für ihren von Trauer zusammengezogenen Körper. Was ist ihr passiert? Zwischen ihren Händen die kaum etwas zu greifen wagen, nah an ihrer Brust hält sie ein Tier in den Armen. Ein Fuchs, surreal ein Kuscheltier ersetzend. Ist der Fuchs ihr inneres Kind, was noch nicht aufgegeben hat? Bereit ist zum Sprung neugierig das Leben zu entdecken? Ist er ihr Gefährte in dieser von Schmerz erschütternden Situation?

JUNGE MIT SCHMETTERLING
Ein Junge, gekleidet in ein sportliches grünes Oberteil, blickt in einem grünen Hintergrund sehnsüchtig nach oben in den Himmel? Seine Augenbrauen sind zusammengekniffen, sein Mund erzählt von Traurigkeit. Sucht er nach Hoffnung? Nach einer besseren Zukunft? Auf seinen Schultern sitzt ein Falter dessen Flügel zerrissen sind. So steht er grün in grün zwischen Hoffnungslosigkeit und Sehnsucht.
Ich fühle mich wie ein Esel, der viele Lasten schleppen muss. Aber warum muss ich so viel tragen?“
Junge aus Afghanistan, 13 Jahre

MÄDCHEN MIT STRAUß UND KRABBE
„Ich verstehe, dass ich ein kleiner Teil eines großen, großen Universums bin, und deshalb ist alles in Ordnung“
Sagt die kleine Hushpuppy im Film „Beasts of the southern wild“.
Sie lebt mit ihrem todkranken Vater im Sumpfgebiet Louisianas. Naturkatastrophen, die durch die Erderwärmung hervorgerufen werden, bedrohen ihr Zuhause.
Der Strauß als ausdauerndes Renntier, mit Humor und den seitlich krabbelnden Krebs habe ich ihr als Gefährten und als Ausdruck von Urvertrauen, Willenskraft und Fantasie an ihre Seite gestellt.
„Das große unzerstörbare Wunder ist der Menschenglaube an Wunder.“
Jean Paul

BRÜDER MIT HIRSCHKUH UND MOTTE
Ein kleiner Junge blickt den Betrachter erschrocken und zutiefst verstört an, sein größerer Bruder hat den Arm um ihn gelegt und möchte ihn beschützen. Sein Blick richtet sich weg vom Betrachter in einen uns nicht ersichtlichen Hintergrund. Sind sie einer sie umgebenden schrecklichen Situation ausgeliefert?
Das junge Hirschkalb welches rechts im Hintergrund zu ersehen ist, brüllt aus Leibeskräften. Schafft es den Schmerz der kleinen Jungen zu veräußern, zu dem sie, im Schock erstarrt, nicht mehr fähig zu sein scheinen? Ist der Schrei ein rausbrüllen der unsagbaren Situation ein Hilferuf, oder gar ein Ausdruck von Befreiung? Auf der Hand des kleinen Jungen sitzt ein großer Nachtfalter. Ein Gefährte der Nacht, der sie immer begleiten wird und doch das Licht sucht!
„Ich glaube es gibt keinen Menschen der kein Päckchen hat! Und ich glaube auch, dass man jemanden zerstören kann, ohne dass er die Kraft hat sich wieder aufzubauen. Die Frage ist für mich: Ist man das selbst die sich zerstört oder ist da immer auch jemand anderes beteiligt? Mich persönlich hat die Liebe, die ich von außen bekommen habe bestärkt, dass ich beschützt bin und mich wachsen und heilen lassen!“
(Paula, 17 Jahre, 2021)