(UN)ZERSTÖRBAR

„Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in sich, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd verborgen bleiben können.“
Franz Kafka

Seit der Zeit, als ich mit 19 Jahren meinen Vater, in einem rasanten Verlauf, an der Krankheit ALS verlor,  frage ich mich, ob es etwas gibt, was unzerstörbar ist, auch wenn alles zerstört zu sein scheint. Gibt es das Unzerstörbare, den Kern in einem selbst?

Ich habe sowohl meine eigene innere Sichtweise, als auch Bilder die mir begegnet sind und mich berührt haben genutzt um die Thematik zu untersuchen.
Des Weiteren habe ich einige Menschen zu diesem Thema interviewt, ein paar Worte und Eindrücke hierzu möchte ich gerne teilen.

Gefördert von der MWK Kunstförderung Baden Württemberg.

UNTER WASSER

Das Bild malte ich im Empfinden über die Beziehung zu meinem Vater, über das Gefühl, das sein Verlust in mir hinterließ. Das Ringen darum, im Eis erfroren zu sein und gleichzeitig durchzubrechen und in das Wasser zu springen zu wollen.
Den unzerstörbaren Kern suchend.

Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.” ( Franz Kafka)

SCHERBE UND SCHMETTERLING
Selbstportrait

Der nackte Torso einer jungen Frau ist sichtbar, die Haare sind blau weißlich. Sie blickt den Betrachter direkt an. In ihrer linken Brust steckt eine große Glasscherbe. Die Einstichwunde ist rot und tief.  Die Scherbe hinterlässt Risse, die sich bis zur Schulter ziehen. Auf der Glasscherbe, die den unerbittlichen Schmerz bebildert, sitzt zart ein Flügelwesen, ein weiß bläulicher Schmetterling, in ähnlichen Tönen, wie die Haare der Frau. Er ist sehr fragil, kaum zu erkennen. Erzählt er von Hoffnung?!

„Ich hatte lange das narrativ, dass ich mich gebrochen fühle „broken“ und dass ich geheilt werden muss.
Jetzt konnte ich das umgedrehen zu „i am breaking free“. Also ich spüre ich habe diesen unzerstörbaren schönen Kern in mir und da wurden Scherben drauf geworfen und diese Scherben kann man aber wegkehren und ich muss nicht versuchen irgendwas zusammen bauen, weil das was da drunter ist, ist da, wie so ein Atomkern ist was dageblieben, was immer da war und das muss nur seinen Weg nach außen finden.“

(Melli, 27 Jahre, 2021)

SCHWESTERN

Die große Schwester hat die kleine Schwester auf dem Schoß. Man weiß nicht, sitzen sie innerhalb eines Raumes mit vergitterten Fenstern oder außerhalb. Hinter den Gittern brennt es, im Herzen der großen Schwester rufen zwei kleine frisch geborene Vögel nach Nahrung. Was ist mit ihnen? Sie scheinen etwas erlebt zu haben, um das nur sie beide wissen und damit allein zu sein. Mit großen Augen blicken sie dem Betrachter entgegen.  Dadurch, dass sie zusammen sind, scheinen sie sich dennoch Stütze zu sein. Als würden sie sich im gemeinsam Erlebten Kraft geben.

DIE UNANTASTBARE

Bei meiner Recherche stieß ich auf den Film des Regisseurs Siassko „Timbuktu“. In ihm wird eine Frau gezeigt, die durch die Straßen der Stadt läuft mit wehendem Kleid, einen Hahn unter dem Arm. Trotz der kopflosen Gewalt der Dschihadisten, die Timbuktu bedroht, wird sie wird nicht angegriffen, auch wenn sie sich den Invasoren in den Weg stellt. Sie wirkt wie ein Symbol für eine unzerstörbare Verbindung zu etwas Anderem, außerhalb der irdischen, oder besser gesagt, außerhalb der rationalen Welt. 

Sie lacht die Invasoren aus, als ob sie die Sinnlosigkeit ihres Handelns zutiefst erkennt und im Großen den Wahnsinn begreift, vielleicht als würde sie wissen, dass es etwas gibt, was sie niemals zerstören können? Auf ihrem Arm hält sie den Hahn, ein Tier mit dem sie intuitiv tief verbunden ist. Er ist verletzt, an ihrer rechten Hand sieht man das Blut. Bedroht wird sie von Waffen am Rande des Bildes und ist doch unsichtbar geschützt von fast nicht sichtbaren Begleitern auf ihren Schultern. Einem Chamäleon und einem Vogel.

Ich sehe in ihre die die Sehnsucht nach einer magischen, unzerstörbaren Kraft, welche vielleicht dazu beiträgt, diesen realistische Bilder des Schreckens zu ertragen und ihnen gleichzeitig etwas entgegen zu setzen.  

DAS MÄDCHEN UND DER FUCHS

Ein junges Mädchen weint bitterlich. Ihre Hände scheinen viel zu groß zu sein für ihren von Trauer zusammengezogenen Körper. Zwischen ihren Händen, nah an ihrer Brust sitzt ein Tier. Ein Fuchs, surreal ein Kuscheltier ersetzend. Ist der Fuchs ihr Kern, der noch nicht aufgegeben hat? Bereit ist zum Sprung neugierig das Leben zu entdecken als Gefährte in dieser von Schmerz erschütternden Situation?

JUNGE MIT SCHMETTERLING

Ein Junge, gekleidet in ein sportliches grünes Oberteil, blickt in einem grünen Hintergrund sehnsüchtig nach oben in den Himmel. Fragt er nach Hoffnung? Nach einer besseren Zukunft?
Auf seinen Schultern sitzt ein Falter dessen Flügel zerrissen sind. So steht er grün in grün zwischen Hoffnungslosigkeit und Sehnsucht.

„Ich fühle mich wie ein Esel, der viele Lasten schleppen muss.
Aber warum muss ich so viel tragen?“
Junge aus Afghanistan, 13 Jahre

MÄDCHEN MIT STRAUß UND KRABBE

„Ich verstehe, dass ich ein kleiner Teil eines großen, großen Universums bin, und deshalb ist alles in Ordnung“
Sagt die kleine Hushpuppy im Film „Beasts of the southern wild“.
Sie lebt mit ihrem todkranken Vater im Sumpfgebiet Louisianas. Naturkatastrophen, die durch die Erderwärmung hervorgerufen werden, bedrohen ihr Zuhause. Sie schafft  es mit unerbittlichem Lebenswillen und Fantasie mit den ihr gegebenen schrecklichen Umständen umzugehen, ist dabei jedoch völlig auf sich allein gestellt.
Den Strauß als ausdauerndes Renntier, mit Humor und den seitlich krabbelnden Krebs habe ich als Ausdruck für ihre Unerschütterlichkeit und Lebenswillen an ihre Seite gestellt.

„Das große unzerstörbare Wunder ist der Menschenglaube an Wunder.“
Jean Paul

BRÜDER MIT HIRSCHKUH UND MOTTE

Ein kleiner Junge blickt den Betrachter erschrocken und zutiefst verstört an, sein größerer Bruder hat den Arm um ihn gelegt, er richtet sich weg vom Betrachter in einen uns nicht ersichtlichen leeren Hintergrund. 
Die junge Hirschkuh welche rechts im Hintergrund zu ersehen ist, brüllt aus Leibeskräften. Schafft sie es den Schmerz der kleinen Jungen zu veräußern zu dem diese, im Schock erstarrt, nicht mehr fähig zu sein scheinen? Auf der Hand des kleinen Jungen sitzt ein großer Nachtfalter. Ein Gefährte der Nacht, der sie immer begleiten wird und doch das Licht sucht!

„Ich glaube es gibt keinen Menschen der kein Päckchen hat! Und ich glaube auch, dass man jemanden zerstören kann, ohne dass er die Kraft hat sich wieder aufzubauen. Die Frage ist für mich: Ist man das selbst die sich zerstört oder ist da immer auch jemand anderes beteiligt? Mich persönlich hat die Liebe, die ich von außen bekommen habe bestärkt, dass ich beschützt bin und mich wachsen und heilen lassen!“
(Paula, 17 Jahre, 2021)